MS-Deutschland zu Windows Blue: keine Rolle rückwärts

Ups, Microsoft Deutschland nimmt doch glatt zu den Berichten in Presse in Bezug auf das kommende Windows Blue Stellung – Titel (wir können) "Keine 'Rolle Rückwärts'". Wie bitte? Hat da jemand von gesprochen? Wieso diese Stellungnahme und was steht drin? Einfach meine 2 Senf zum Wochenende.


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Worum geht's? Die Tage wurde von Brandon LeBlanc bekannt gegeben, dass Microsoft zur Build eine Public Preview von "Windows Blue" bereitstellen wird (ich hatte hier darüber berichtet). Ok. Dann gab es noch Verlautbarungen von Microsoft-Vorständen, die einen "Start-Knopf" möglicherweise als hilfreich ansehen. Und es gab Analysten-Aussagen, die den Relaunch von Windows Blue mit dem Scheitern von Coca Cola vergleichen. Der Konzern war Mitte der 90er Jahre gezwungen, eine neue Rezeptur zurückzunehmen und in einer Art "Rolle rückwärts" zur alten Coca Cola-Rezeptur zurückzukehren. Ich hatte einiges in diesen Artikel, in dem ich über die 100 Millionen verkauften Windows 8-Lizenzen berichtete, thematisiert.

Das Presseecho rund um die adressierten Themen war schon so, dass man die letzten öffentlichen Verlautbarungen der Microsoft-Vorstände als "Windows 8 und Windows RT sind gescheitert – wir haben am Markt vorbei entwickelt" interpretieren konnte. Die Botschaft der Microsoft Vorstände war aber auch "wir hören jetzt auf unsere Kunden und berücksichtigen die Wünsche beim kommenden Windows Blue" – von Windows 8.1 will man offiziell noch nicht reden. Dieser Zeit-Artikel trifft den Kern des Ganzen recht gut und geht auch auf den Coca Cola-Effekt ein.

Nun also die "keine Rolle rückwärts"-Stellungnahme der deutschen Microsoft Dependance in diesem Technet-Blog-Beitrag von Oliver Gürtler, seines Zeichens Leiter Geschäftsbereich Windows, Microsoft Deutschland.

Tenor: Mit der Markteinführung ist die Entwicklung eines Produkts nicht abgeschlossen …

Böse Zungen beklagen das als die berühmte Bananenentwicklung – das Produkt reift beim Kunden – was aber wohl vehement bestritten wird.

Hinzu kommt: Kleinere Updates und Verbesserungen hat es seit dem Start im Oktober letzten Jahres kontinuierlich gegeben. Wie schon bei der Entwicklung früherer Windows Versionen greifen wir dabei selbstverständlich Anregungen, Verbesserungsvorschläge und Kritik unserer Nutzer auf. Und: Mit kürzeren Produktzyklen reagieren wir – wie auch der Wettbewerb – auf aktuelle Marktgegebenheiten.

Kurz die Grundlagen für ein Windows Blue Update wurden schon bei der Entwicklung von Windows 8 gelegt, unterliegen Anpassungen, folgen aber gleichzeitig einer klaren Roadmap und Vision. Insofern ist Windows Blue weder eine „Rolle rückwärts" noch eine „Umkehr".

Kann man zur Kenntnis nehmen. Dass Microsoft eine "Roadmap" für Windows Blue hat, davon gehe ich aus (für doof halte ich die Leute in Redmond nicht). Der Lackmus-Test wird aber sein, wie Microsoft mit der (in meinen Augen berechtigten) Kritik aus Nutzerkreisen umgeht, die die neue GUI und die durch Windows 8 auferlegten Beschränkungen massiv kritisieren.

Und weil wir schon dabei sind, möchte ich noch ein paar Sprechblasen sezieren und meine 2 Senf dazu absondern:

Größere Updates und Innovationen „on the fly" werden immer kurzfristiger möglich und nötig. Es ist Chance und Herausforderung zugleich schnelllebige Veränderungen von Märkten und Kundenansprüchen mit langfristigen Zielsetzungen und Visionen rück zu koppeln und  weiter zu verbessern.

Gut, bei Sicherheits-Updates und Bug-Fixes gehe ich d'accord – wer mir aber erzählt, dass wir schnelllebige Veränderungen an den Märkten haben, so dass wir binnen Jahresfrist nachschieben müssen, dem sage ich gerade heraus: "Entweder ihr habt nicht nachgedacht, als ihr mit der Entwicklung gestartet seid, oder ihr wolltet euren eigenen Stiefel fahren und seid grandios gegen die Wand gerannt." Ich postuliere, dass letzteres der Fall ist – am Markt vorbei entwickelt. Dass ein Hersteller reagiert, wenn die Kunden ein Produkt für Mist halten, setze ich als selbstverständlich voraus. Andernfalls müssten wir uns wirklich Sorgen um Microsoft machen.

Eine Randbemerkung kann ich mir aber trotzdem nicht im Hinblick auf "Innovationen on the fly" verkneifen. Es sind nun zwar bald 20 Jahre her, dass ich meinen Industriejob an den Nagel gehängt und als Autor gestartet bin. Aber nach dem, was ich so höre, ist die Schulung der Mitarbeiter immer noch das, was die Firmen an schnellen Update-Zyklen hindert und was zu schnelles Versions-Hopping wirksam bremst. Bei den Consumern gibt es eine Gruppe der "immer das neuestes und hippeste haben muss"-Anwender. Aber wie viel Prozent des Markts decken die ab? Der Rest tut sich mit ständig wandelnder Funktionalität irgendwie schwer.


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Hinzu kommt, dass die Leute sich heute ein Produkt als Gerät kaufen (ich hole mir ein MacBook Air, ich kaufe ein iPad – und nicht "ich hole mit ein Notebook wie Mac OS X, oder ich hole mir ein Tablet PC mit Windows oder Android drauf"). Die Funktionalität und Attraktivität des Gesamtpakets steht im Vordergrund – hier und jetzt, und nicht in zwei Jahren. Ob da iOS, Android, Mac OS X oder Windows 8 drin steckt, ist für die Anwender, die bloß ein bisschen Surfen, Mailen oder was erledigen wollen, eine Randnotiz. Solange das Gefühl da ist, dass das aktuell verfügbare Gerät es tut und man seine Sachen intuitiv mit erledigen kann, ist die Sache gebongt.

Wenn ich das Ganze mal auf Tablet PCs mappe: Da greift man ggf. zu einem Android (ist preisgünstiger als die Windows-Kiste, meist schneller und Updates gibt es für viele Geräte auch nicht Zwinkerndes Smiley – brauche ich mich nicht umgewöhnen) oder zum Apple iPad (ist immer noch vermeintlich hipper, obwohl mit iOS 7 wohl Veränderungen kommen).

Fazit: Die Hersteller können entwickeln und "innovieren" wie sie wollen, generell muss die "Linie erkennbar" sein und der Anwender sollte – wenn er schon Geld locker machen soll – sich irgendwie im Produkt wiederfinden. Sprich: der Kunde steht im Fokus, das Ziel ist es "Wünsche und Bedürfnisse des Kunden erfüllen" und nicht "wir haben den (Geldbeutel des) Kunden im Fokus, den Rest übersehen wir mal".

Die berühmten Killer-Anwendungen treffen genau den Nerv bzw. die Bedürfnisse der Nutzer. Andere Möglichkeit: ein Hersteller adressiert das "Butter-und-Brot"-Geschäft der Anwender, so dass viele Leute das Produkt am Ende des Tages brauchen und möglichst problemlos wechseln können. Trifft man keinen dieser beiden Punkt, ist's Essig mit der Innovation – sprich "am Markt vorbei entwickelt".

Kleiner Rückblick: Wenn ich mir die Stoppelei von Microsoft bezüglich der Windows 8-Apps so ansehe, ist das in meinen Augen kräftig in die Hose gegangen. Ich habe beim Schreiben meiner Bücher irgendwo aufgehört, die App-Funktionen tiefergehend zu dokumentieren (weil alle paar Tage eine geänderte Funktionalität per Update rausgeschoben wurde, die alle Beschreibungen zur Makulatur werden ließ). Mag an meiner Unfähigkeit liegen – aber hier nutze ich gelegentlich den Blick über den Schüsselrand. Und wenn ich mir andere Publikationen so ansehe, sind die App-Beschreibungen genau so veraltet. Von Microsoft gibt es auch keine Dokumentation zu den eigenen Apps bzw. das was da zu finden ist, fällt in die Kategorie "wischi waschi" (wird in Forenbeiträgen öfters bemängelt). Der App-Nutzer muss sich das also selbst rausfrickeln oder steckt auf (ich nutze längst keine Apps mehr, weil mir einfach die Funktionalität und Berechenbarkeit fehlt).

Anmerkung: Hier steckt Microsoft in meinen Augen in der Innovationsfalle. Wenn ich ständig was an der Oberfläche und Funktionalität ändere, muss ich dies auch dokumentieren – oder das Ergebnis muss so sein, dass das intuitiv nutzbar ist. Beim iPad hatte ich beim Marktstart diesen Eindruck – bei Android wird das schon schwieriger – aber bei Windows 8 gibt es in meinen Augen massiv "Erklärungsbedarf". Da Microsoft aber kein "Handbuch" zu seinen Produkten mitliefert und die Online-Hilfe auch immer "flacher" wird, sehe ich gewisse Schwierigkeiten am Horizont. Ergo wäre Microsoft auf Sekundärliteratur angewiesen oder müsste das selbst leisten. Wenn ich aber alle halbes Jahr was neues raushaue, funktioniert das Geschäftsmodell nicht. Der Kunde hat keine Chance, das Produkt zu begreifen – und wird, nachdem er einmal die Erfahrung gemacht hat, zukünftig einen Bogen drum rum machen.

Anmerkung: Neben meinen Erfahrungen als Buchautor bekomme ich natürlich auch als Microsoft Communitymoderator mit, wie die "Einführung eines neuen Produkts so läuft". Was ich bisher so gesehen habe, stimmt mich nicht sonderlich hoffnungsvoll.

Wenn Microsoft da noch ein paar Brikett in Sachen "Innovation" nachlegen will, sollen sie das tun. Falls das wie in der Vergangenheit läuft, werden sich (nach meinem Gefühl) noch mehr Anwender abwenden. Wenn Microsoft aber ein Windows 8.1 schafft, bei dem die Masse der Anwender wieder das Gefühl hat, dass die eigenen Bedürfnisse erfüllt werden und sich wieder Arbeitstechniken einsetzen lassen, die viele Anwender irgendwo verinnerlicht haben oder intuitiv nutzen, soll es mir Recht sein.

Wie heißt es so schön: die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ob die Hoffnung erfüllt wird, sehen wir Ende Juni 2013 – und wenn dann am Ende des Tages ein Produkt  bei rauskommt, wo ich mich "voller Begeisterung drauf stürzen kann", bin ich dabei. Andernfalls? Schreibe über Android und möglicherweise über iOS 7 auf dem kommenden iPad (und lästere über Windows) …

… mit anderen Worten: Das hier ist mal wieder ein total "nonsense"-Blog-Beitrag geworden. Trotzdem schönes Wochenende – ich zieh mir gleich die Wanderschuhe an und werde noch ein paar Stunden in der Sonne genießen – soll ja am Wochenende wieder schlechter werden.

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2 Antworten zu MS-Deutschland zu Windows Blue: keine Rolle rückwärts

  1. Günter Born sagt:

    PS: Falls ihr das total anders seht – oder d'accord geht -> Kommentarfunktion ist natürlich offen (wenn ich die Kommentare auch wegen massivem Kommentar-Spam manuell freischalte).

  2. Günter Born sagt:

    Ups, der Vergleich von Microsoft mit Coca Cola bzw. Windows 8 mit einem Brause-Rezept scheint bei Microsoft ja einen Nerv getroffen zu haben. Gestern noch den obigen Artikel als Replik auf den Blog-Post von Herrn Gürtler verfasst. Jetzt lese ich hier, dass Microsoft Manager Frank Sha "not happy is with everyone who compared Windows 8 to New Coke this week". So was aber auch.

    Klar, Windows 8 ist kein Coca Cola, welches man einfach wegschüttet, wenn's nicht schmeckt. Wenn man Windows 8 auf einem Rechner mitgekauft hat, ist das anhänglich wie Kaugummi. Der Vergleich mit Coca Cola ist in meinen Augen aber dennoch angebracht. Coca Cola hat was neues probiert – die Leute haben's nicht gemocht – und Coca Cola hat fix reagiert – und alles war gut. Schauen wir mal, was Microsoft nun macht – egal, ob die den Vergleich mit Coca Cola nun mögen oder nicht.

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