Windows 8.1: (nicht nur) Entwickler sind angepisst

Gestern hat Microsoft ja bekannt gegeben, dass Windows 8.1 den RTM-Status bekommen hat, an OEM-Hersteller geht, aber für Entwickler nicht vorab per Volumenlizenzvertrag, Technet oder MSDN verfügbar sein wird. Jetzt sind (nicht nur) die Entwickler ziemlich angepisst – hier einfach meine 2 Senf zum Thema.


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Kennt ihr noch die Maßeinheit "1 Bangemann"? Die Jüngeren sicher nicht, aber wer schon etwas älter ist, wird sich noch an Ex-Wirtschaftsminister und später EU-Kommissar Bangemann (FDP) erinnern. Tja, und die Maßeinheit "1 Bangemann" war "der Abstand zwischen zwei Fettnäpfchen", die der oben Genannte mit traumwandlerischer Sicherheit zu treffen wusste. Das ist mir eingefallen, als ich über den letzten Schwank seitens Microsoft nachgedacht habe.

Developers! Developers! Developers!

Ich glaube ich krieg Tinnitus, oder so was ähnliches – denn dieses "Developers! Developers! Developers!" klingelte mir die letzte Zeit häufiger in den Ohren. Muss ich mich wohl verhört haben, und das fiepen kommt aus einer anderen Quelle.

Scherz beiseite, aber Microsoft entwickelt in letzter Zeit eine ungewöhnliche Affinität zur oben genannten Maßeinheit des Bangemanns. Nur mal langsam zum Mitschreiben: Das Mantra Ballmers war es doch, dass man Entwickler und nochmals Entwickler brauche, um für Microsofts Plattformen Drittherstellersoftware zu schreiben.

Wer jetzt so was wie die Spur eine Langzeitgedächtnisses besitzt, erinnert sich noch dunkel an die Diskussion im Vorfeld von Windows 8 um WPF und Silverlight, der einige Entwickler auch aus dem .NET-Umfeld ziemlich vergrätzt hat. Wer etwas über den Schüsselrand schaute, weiß auch, dass Expression Web als Tool (mangels Erfolg) geschlachtet wurde (was mit Windows erst mal nix zu tun hat).

Dafür setzt man heutzutage bei Microsoft voll auf App-Entwicklung für Windows 8.x und Windows Phone. Etwas doof nur, dass die Entwickler da kaum einen Groschen verdienen können. Wer halbwegs eine Chance auf Umsätze haben will, entwickelt für iOS – selbst bei Android sind die Umsätze mit Apps im Google Play Store ernüchternd. Das ist aber noch Gold gegen die App-Umsätze im Windows Store. Ich verweise nur auf diese Geschichte, wo ein App-Entwickler auspackt.

Und an welchem Ast sägen wir heute?

Unter den obigen Gesichtspunkten gibt möglicherweise nicht so wirklich viele Entwickler, die mit heißem Herzen und flammender Seele begeistert auf die neuen Plattformen hüpfen. Weiterhin arbeiten eine Menge Leute daran, dass bei Verfügbarkeit eines neuen Windows nicht nur die Rechner, sondern auch Software (Windows-Anwendungen, Tools, Treiber und möglicherweise Apps), Schulungsmaterial und ggf. auch Literatur zur Verfügung steht. Und Supporter bereiten sich darauf vor, beim Produktstart zumindest die Grundfunktionen des Produkts zu kennen. Microsoft hätte also allen Grund, diese Klientel zu hätscheln. Wer kauft schon eine Waschmaschine ohne Kundendienst?

Der Ansatz hat bisher auch prima geklappt. Je nach Windows-Version hatte man 6 bis 8 Wochen vor der generellen Verfügbarkeit die Möglichkeit, über bestimmte Programme wie Technet, MSDN (oder früher schnöder Beta-Test) auf die RTM des betreffenden Windows zuzugreifen. Nach Produktverfügbarkeit gab es dann, je nach Windows-Variante mehrere Jahre Zeit, in der die Produkte, Schulungsunterlagen etc. eingesetzt werden konnten – sprich: ein Marktfenster, um die Anfangsinvestitionen wieder reinzuholen.

Aber die Zeichen stehen auf Sturm. Microsoft stellt Ende des Monats das Technet-Programm ein. Dieses bot eine Möglichkeit, recht kostengünstig auf neueste Betriebssysteme zu Test- und Evaluierungszwecken zuzugreifen – habe ich selbst einige Jahre genutzt. Es gibt zwar noch das MSDN-Programm, wo man für eine Jahreslizenz im drei bis fünfstelligen Eurobereich auf Betriebssysteme, Entwicklungsumgebungen und Anwendungen wie Office zu Testzwecken zugreifen kann. Da wurde auch schon mal "early access" auf neue Entwicklungsversionen kolportiert. Scheint aber nicht mehr ganz zu stimmen. Auch ist die MSDN-Webseite kürzlich "gekachelt" worden – sieht richtig schön bunt aus, nur findet man nix mehr – was die ersten geharnischten Entwicklerkommentare provozierte. So richtig lieb hat man die Entwickler wohl nicht mehr – oder man lebt auf einem anderen Stern.


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Fix, Fix, morgen hüpfen wir auf einen anderen Ast

Mit dem Ansatz "Rapid Development first" von Microsoft und den ständigen Änderungen am lebenden Objekt ist die obige Planungssicherheit nun auch weggefallen. Erklärtes Ziel: Mindestens jedes Jahr eine neue Windows-Version – und zwischen den Versionen ändern wir wie willd damit kein Stein auf dem anderen bleibt. Hat mich bei Windows 8 persönlich bereits zum Nachdenken gebracht – und am Ende bin ich zum Schluss gekommen, dass Microsoft gegen die Wand fahren wird. Ich sehe es in den Microsoft-Foren: Ständig schlagen Nutzer auf, die nach Details zu App-Funktionen fragen, aber zu den Apps gibt es keinerlei Dokumentation. Und wenn sich mal jemand hinsetzt, evaluiert und dann etwas zusammen schreibt, ist das spätestens 3 Monate später überholt, weil man wieder ein App-Update die gesamten Funktionen samt GUI umwirft.

Unternehmensberater hätten ihre helle Freude dran – Microsoft reduziert seine Kunden auf's Kerngeschäft. Wer ein altes Startmenü und ein konventionelles Windows will, bleibt halt auf Windows 7. Ihr wollt DVD-Wiedergabe, Media Center und Co? Alles old school – das wird noch halbherzig gegen Aufpreis unterstützt, aber nicht mehr weiter entwickelt. Und so geht es schrittweise weiter – in Windows 8.1 werden weitere Funktionen wie Backup, erstellen von Systemreparaturdatenträgern mit Windows PE etc. geschlachtet. Kann man alles zur Kenntnis nehmen und sich, sofern man schlau ist, anderen Tätigkeitsfeldern zuwenden.

Und mit dem letzten Schwenk hat Microsoft endgültig bewiesen, dass man, abseits einiger Hardwarehersteller, niemanden sonst zu brauchen glaubt. Denn anders ist es nicht zu erklären, das Microsoft den Entwicklern erklärt, dass sie mit einer Beta von Visual Studio und einer Windows 8.1 Preview doch bitte ihre Software entwickeln sollen, um diese am 18.10. für Windows 8.1 bereitzustellen. App-Entwicklung ist das Eine, Anwendungsentwicklung und das Erstellen systemnaher Tools das Andere. Ich habe die letzten 3 Wochen versucht, mich mittels der Windows 8.1 Preview an den Funktion entlang zu schreiben. Wenn Du aber an jeder Ecke auf drei Bugs oder fehlende Funktionen stößt, und Software wie 3G-Modems echten Ärger bringen, brichst Du irgendwann entnervt ab und hoffst auf die RTM. Und bei Entwicklern sieht das nicht anders aus – irgendwann braucht es die Plattform, die beim Kunden stehen wird. Mutiert die Plattform dann noch zum wandelnden Experimentierfeld einiger Microsoft-Manager auf Selbstfindungstrip, bedeutet das für Drittentwickler im Grunde nur noch "russisches Roulette" spielen.

Entsprechend geharnischt sind denn auch die Reaktionen aus Entwicklerkreisen, wie man in Kommentaren im Windows App Builder Blog zum Beitrag Get your apps ready for the Windows 8.1 launch! sowie im Blogging Windows-Beitrag Readying Windows 8.1 for release findet. Schlägt sich natürlich auch im Web nieder, wo zahlreiche Kommentatoren den Unmut der Entwickler bündeln und in Artikel gießen. Techchrunch titelt ganz treffend Developers Are Pissed That Microsoft Won't Give Them Windows 8.1 Until Everyone Else Gets It – und Computerworld überschreibt den Artikel mit Developers flay Microsoft for withholding Windows 8.1 RTM. Der heise-Kommentar Microsofts gefährliches Spiel durch RTM-Neuinterpretation geht in die gleiche Richtung, wie Futurenet, die festgestellt haben Kein Windows 8.1 auf MSDN, Entwickler stinksauer. Ich erkenne da eine masochistische Lust auf Shitstorm beim Microsoft Management.

Bananensoftware als Programm?

MVP-Kollege Martin hat es im Artikel Windows 8.1: Die Probleme der Entwickler und die Folgen für die Nutzer noch aus einer anderen Perspektive angerissen, die mich auch schon etwas länger beschäftigt. Ist zwar 20 Jahre her, seit ich meinen Job als Leiter einer Softwareentwicklungsgruppe an den Nagel gehängt habe. Aber die Welt hat sich nicht so weit verändert, dass der Nutzer nicht "halbwegs fertige funktionierende Software" fordert, die nicht alle zwei Tage geändert wird. Firmen werden auch nicht den Aufwand treiben, alle drei Monate die Belegschaft zu schulen, weil mal wieder ein App-Update kommt. Rapid Delivery first mag zwar im Smartphone- und Tablet-Umfeld halbwegs funktionieren – obwohl sich hier auch Sättigungseffekte andeuten (die Leute sind es müde, ständig auf was neues, halbfertiges hüpfen zu sollen). Aber im geschäftlichen Umfeld funktioniert das überhaupt nicht. Und wenn ich es richtig sehe, verdient Microsoft dort noch seine Brötchen.

Schüttet man da das Kind mit dem Bade aus, sitzt man ganz fix auf dem Trockenen. Momentan habe ich folgendes Bild vor Augen: Mit Windows 8 wollte Microsoft den großen Sprung wagen – ist aber im Porzellanladen gelandet und in einer Irrfahrt quer durch's Geschirr heftig an die Wand gefahren. Nach dem Rums hat man sich ganz benommen aufgerappelt und mäandert nun ohne Ziel durch den Laden, in der Hoffnung, einen Ausgang zu finden. Wie viel Porzellan mag da noch heile bleiben?

Um es ganz klar zu sagen: Windows wird auch morgen noch eingesetzt – da gebe ich mich keinen Illusionen hin. Es gilt der alte Spruch "Folge der Spur des Geldes". Aber ich beobachte die Entwicklung über viele Jahre – und eines ist neu: Der "Berg" der Desktop-Systeme ist mächtig ans rutschen gekommen. Vor 10 Jahren gab es wenig Alternativen – aber heute stimmen viele Nutzer bereits mit den Füßen ab und greifen zu Smartphones oder Tablets aus dem iOS/Android-Umfeld, während Firmen auf Windows 7 verharren. Sieht so aus, als ob Microsoft auf einer schiefen Ebene sitzt – nur kann ich momentan nicht so genau die Rutschgeschwindigkeit erkennen.Ich erinnere mich, mal auf einer Digital Equipment PDP 8 angefangen zu haben und über VMS war ich begeistert. Auch ging mal so was wie der erste IBM PC XT in Europa von der im Produktnamen genannten Firma über meinen Schreibtisch – ach ja, Sun, Compac und HP waren auch geflügelte Namen großer, und erfolgreicher Firmen, die am Kundenbedürfnis vorbei entwickelt haben. Warten wir mal den Januar 2014 ab, wenn sich Hersteller und Händler die Absatzzahlen anschauen – könnte möglicherweise eine Überraschung geben.


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3 Antworten zu Windows 8.1: (nicht nur) Entwickler sind angepisst

  1. Günter Born sagt:

    Interessante Rückmeldung, die ich aus einer ganz anderen Ecke, die mit dem Blog nichts zu tun hat, per E-Mail bekommen habe.

    Ich hoffe, dass es … hier auch noch Möglichkeiten bei MS gibt, vor dem 18. Oktober an die Bits zu kommen. Diese Frage ist ja sehr umsatzrelevant für diverse Informationsquellen.

    Wir … sind etwas befremdet aufgrund des konservativen und unkooperativen Vorgehens im Hause Microsoft. Aber vielleicht passiert ja noch ein Wunder.

    Ich schrieb ja "Folge der Spur des Geldes" – aber wenn es um Geld geht, nützt die beste "Freundschaft" nix ;-).

  2. Endlich. Du hast die Elefanten im Raum bei Microsoft Themen eigentlich immer recht konkret angesprochen und ich hatte schon die Befürchtung, dass Du nun auf MVP/MSPress-Gründen darauf verzichtest.

    Das Thema betrifft auch Schulungen: Das neue Release wird massiv beworben und überspitzt gesagt, stehen zwei Tage später die ersten Kunden mit einer Schulungsanfrage vor der Tür – bei der dann doch bitte auch die technischen Details und Veränderungen ausreichend behandelt werden sollen.

    Die Literaturlage war bei Windows 8 / Server 2012 schon sehr dünn und ist sie teils immer noch. So kommt die MS-Literatur für 70-411/412 erst nächstes Jahr raus. Die Ratio, alles selbst in jeglicher Variante ohne Referenzen des Herstellers ausprobieren zu müssen, tendiert schon Richtung Unwirtschaftlichkeit. Jetzt raubt man "uns" auch noch dieses Vorbereitungsfenster. Es läuft derzeit einiges schief. Diese Verzögerung ist nicht also nicht nur für Entwickler, Deployer und Autoren fatal, sondern auch für die "Knowledge-Fraktion" an der Basis, "am Mann".

    Man fragt sich schon, wie eng die Fettnäpfchen eigentlich noch beieinander gestellt werden können.

  3. Alexander Supp sagt:

    … wenn ich das so lese bin ich doch froh nicht mehr im Job zu sein.
    Die großen IT-Firmen – und MS gehört ja auch dazu – haben eben inzwischen mehr Finanz-, Werbe- und Rechtsanwaltspersonal als Anwendungsentwickler. Da ist weder für außenstehende Anwendungsentwickler und schon gar nicht für die Anwender platz.
    Diese Intransparenz bei den Produkten (vom Betriebssystem bis zur einfachen App) ist offensichtlich auch in den Häusern gegeben, die diese geschaffen haben. Niemand hat mehr gen Überblick. Komplexes wird noch kompliziert gemacht.
    Wie gesagt, bin froh mich damit nicht mehr rumzuärgern. Nur noch gelegentlich als Hobby.

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