Linux: Das Bauernopfer in Niedersachsens Finanzverwaltung?

Die Finanzverwaltung in Niedersachsen will 12.000 PC in Finanzämtern von Linux auf Windows und weitere Microsoft-Lösungen migrieren. Wie es ausschaut, ist Linux ein Bauernopfer, welches aus politischen Gründen geschasst wird.


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Zum Hintergrund: Wechsel zu Windows

Die c't bzw. die Redaktion von heise.de hat das Thema erstmals Ende Juli 2018 aufgegriffen und berichtete hier über das Aus für Linux. Tenor 'Niedersachsen will knapp 13.000 Rechner auf Windows umstellen'. Es geht dabei allerdings um die Finanzverwaltung in Niedersachsen. Heise hat das Ganze recht umfangreich im Artikel behandelt. Bei der Lektüre hätte man den Eindruck gewinnen können, dass da gute Gründe für den Umstieg sprechen und das Ganze gut überlegt sei.

Die setzten auf OpenSuse

Alleine, was mich stutzig machte, war der Verweis eines Forenteilnehmers, der mich auf diesen Artikel bei Windows United verwies. Dort ließ sich nachlesen, dass die Finanzverwaltung Niedersachsens offenbar die kostenlose Community-Edition von OpenSuse eingesetzt hat. Und da läuft irgendwann der Support aus. Ab diesem Zeitpunkt hätte man jede technische Argumentation unter diesem Blickwinkel beleuchten müssen.

Aber das brauchte es nicht. Es war bekannt, dass im Haushaltsentwurf des Landes im Jahr 2019 5,9 Millionen Euro für die Migration bereitgestellt werden sollen. Für die Folgejahre sind jeweils 7 Millionen Euro. Wie viele Jahre die Arbeiten insgesamt in Anspruch nehmen werden, blieb im Dunkeln. Alleine das hätte schon die Alarmglocken läuten lassen müssen. Da wird ein Blanko-Scheck für Microsoft ausgestellt.

Politisches Bauernopfer

Am 3. August 2018 schob heise.de dann einen zweiten Artikel nach, aus dem klar wurde, dass die Windows-Zwangsmigration eine politische Entscheidung der Koalitionäre in der Landesregierung Niedersachsens war und Linux politisch rausgekegelt werden sollte. Zitat aus dem heise.de-Beitrag:

So hat es die Niedersächsische Landesregierung auf Seite 134 ihres 138-seitigen Koalitionsvertrags festgeschrieben: "Wir werden den in Niedersachsen bislang Linux-basierten Verfahrensbetrieb aufgeben".

Der heise.de-Redakteur merkt folgerichtig an: 'Es geht also nicht etwa darum, ergebnisoffen zu überprüfen, ob die aktuellen Linux-Arbeitsplätze noch zeitgemäß sind oder ob sich nicht mit einer anderen Lösung Steuergelder einsparen ließen'. Vielmehr war mit der obigen Passage klar, dass Linux raus fliegen muss.

Keinen Plan und kein Konzept

heise.de hat dann versucht, Informationen zu der bei solchen Großprojekten üblichen Planung einzusehen. Ergebnis der Recherchen der c't-Redaktion: Es gibt keine solche Planung! Es ist unbekannt, welche Kosten in welchem Zeitraum anfallen, keiner weiß, mit welchen Einsparungen eventuell zu rechnen ist. Jedenfalls hat das Finanzministerium als Träger des Verfahrens keine Zahlen vorliegen. Die gaben sich regelrecht überrascht. Den heise.de-Artikel muss man sich regelrecht auf der Zunge zergehen lassen. Zitat aus dem Artikel:

Es ist also offenkundig eine rein politische Entscheidung, Linux rauszuwerfen und Abermillionen Euro für die Migration auf ein proprietäres Betriebssystem auszugeben – wobei man nicht einmal abgeschätzt hat, wie viele Millionen etwa die notwendigen Windows-Lizenzen verschlingen werden.

Die Redaktion legt dann noch einige Informationen über die vermeintlichen Hintergründe für diese Entscheidung im Artikel offen. Ein ergänzender Abriss findet sich in diesem c't-Artikel.

Mir ist im Forum nur die Aussage ins Auge gesprungen, dass wohl die gleiche Beratungsfirma dort aktiv war, die auch Gutachten für den Ausstieg aus LiMux erstellt habe. Ob das stimmt, konnte ich nicht verifizieren.

Die Grünen fragen nach

Stefan Wenzel, haushalts- und finanzpolitischer Sprecher von Bündnis 80/Die Grünen, hat nun bei der Landesregierung eine kleine schriftliche Anfrage gestellt, wie er in seiner Pressemitteilung schreibt. Seine Aussagen:


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"Die Umstellung für die 12.000 PCs in den Finanzämtern ist offenbar eine politische Entscheidung, die die GroKo durchgesetzt hat. Bislang können wir nicht erkennen, dass Sachgründe dafür vorliegen. Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen sind nicht bekannt."

„Wir erwarten, dass das Finanzministerium die Entscheidung transparent und nachvollziehbar darstellt. Es muss eindeutig geklärt werden, wie es zu diesem Millionen Euro teuren Schritt, die Software in den ihm unterstellten Finanzämtern umzustellen, gekommen ist."

„Der Verzicht auf Open Source Software kann am Ende noch viel teurer werden, wenn alle Softwareprodukte und Updates auf einem weitgehend monopolisierten Markt erworben werden müssen. Das könnte Auswirkungen auf die Finanzierung vieler anderer Bereiche haben."

Wenzel beruft sich dabei explizit auf die Recherchen der c't zum Thema. Bei heise.de hat man hier noch einen Beitrag veröffentlicht. So als steuerzahlender Bürger kann man sich nur noch fassungslos zur Kenntnis nehmen, was da ab geht. Kein Politiker wird zur Rechenschaft gezogen, wenn ein neues Millionengrab entsteht. Willkommen in Deutschland #2.0 – wo alte Männer über die IT-Zukunft der nächsten 20 Jahre entscheiden.


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12 Antworten zu Linux: Das Bauernopfer in Niedersachsens Finanzverwaltung?

  1. chriscrosser sagt:

    …echt bitter! – sie lernen einfach nix dazu und begeben sich immer weiter in die fänge von MS und der US-regierung

    • nagra sagt:

      was sollen "die" (hilflosen) denn dazulernen – und vor allem wie?
      es dürfen vollkommen Blinde über Farben nicht nur reden, sie dürfen darüber entscheiden! Genauso sinnvoll wäre es, z.B. einen Gebäudereiniger mit der Innenraumgestaltung eines neuen Merc/BMW/Audi/etc. zu betrauen. Bei 1.000.000 Versuchen íst bestimmt einer dabei, der einigermaßen hinhaut…
      Dass diese Vollamputierten vollkommen ahnungslos sowas dürfen – und dass sie dabei nicht in Regress genommen werden. DAS ist der Schwachsinn schlechthin. Unabhängig davon, dass eine Überprüfung des status quo in Nieders. durchaus zum Wechsel von linux zu MS führen kann und darf. NACH einer echten, fairen, offenen Prüfung.
      Aber so wird pol. Verdrossenheit weiter manifestiert. Und die Dummen merken es nichtmal.

  2. RUTZ-AhA sagt:

    Vom BSI sind noch ganz andere Klopper bekannt. In dem Verein sind vermutlich keine richtigen Fachleute geschweige denn Experten tätig. Ihr Chef kommt auch nicht aus der IT, der war beim Pöstchen verteilen an der Reihe.
    Und was den Schaden anbelangt, sind 50 bis 100 Millionen nur Peanats. Der Steuerzahlerbund rechnet jedes Jahr im Schnitt 33 Milliarden zusammen, von Politikern sinnlos verschwendete Steuergelder. Da kommen dann noch Milliarden im und für das Ausland verprasste Gelder zu.

  3. Al CiD sagt:

    Einfach unglaublich, agieren entgegen den obersten Vorgaben, da kann man nur mit dem Kopf schütteln…
    Ein Schelm, wer meint das da "jemand die Hand aufhält"…

    – aus ct-magazin 09-2018
    "Datenschützer drohen Microsoft
    Microsoft unter Druck wegen Telemetriedaten bei Windows 10" :räusper:

    "[Windows 10] … Der gegenwärtige Zustand widerspricht dem Eckpunktepapier der Bundesregierung über „Trusted Computing und Secure Boot". Danach muss jeder Rechner in kritischen Bereichen uneingeschränkt kontrollierbar sein. Davon kann man nicht reden, wenn sie ohne Steuerungsmöglichkeit Daten transferieren."

  4. Roland Moser sagt:

    Da ist aber alles klar:
    Eine von Micrcosoft kennt da ein paar in der Politik oder hockt selbst dort, und nachdem dann umgestiegen wird, fliesst das Geld zur Firma, welche die Umrüstung macht, und von der Firma wird ein Teil des Geldes zu den Politikeren fliessen.

  5. Günter Born sagt:

    Kleine Ergänzung und Relativierung

    Die im Blog-Beitrag skizzierte Geschichte hinterlässt zumindest kommunikationsmäßig ein Geschmäckle bzw. das Ganze erscheint ziemlich unprofessionell in der Umsetzung. Zum Sachverhalt an sich ist mir noch eine Info eines Insiders zugegangen, der nicht wörtlich zitiert werden möchte. Hier die Quintessenz dessen, was ich an Infos vorliegen habe.

    Unter die Haube geblickt

    Die Finanzverwaltung in Niedersachsen ist die einzige von 16 Bundesländern, die auf Linux setzt. Das bringt gewisse Umsetzungsprobleme für Fachanwendungen mit sich, die im dümmsten Fall jeweils anzupassen sind. Das ist für die IT-Leitung natürlich ein ständiges 'sich rechtfertigen müssen Ärgernis' (könnte ich mir vorstellen).

    In der Info klingt es an, dass diese Konstellation zu deutlichen Bremsspuren in der Funktionalität führt (Freezes, Abstürze, Frust der Nutzer). Es klang an, dass die Nutzer den Wechsel mittragen, damit es irgendwann besser wird. Ich kann den Wahrheitsgehalt nicht beurteilen (habe keine weiteren Connections in diesem Bereich und weiß auch nicht, ob es in den auf Windows-gestützten Finanzverwaltungen der anderen Bundesländer besser mit den Fachanwendungen läuft). Es könnte also auch noch einen technischen Grund für den Wechsel dahinter stehen.

    Was ich nicht weiß: Hat es im Vorfeld eine Evaluierung samt Gutachten gegeben. Daher bitte ich in den Kommentaren den Namen eines Beratungsunternehmens nicht zu nennen. Solange keine belastbaren Fakten vorliegen, ist das alles Spekulation am grünen Tisch.

    Die Mutter aller Fragen

    Am Ende des Tages bleibt aber die Krux: Wo wollen wir mit der öffentlichen Verwaltung IT-mäßig hin? Weiter in die Abhängigkeit von einer US-Firma, oder Open Source-Infrastruktur stärken und die Unabhängigkeit von US-Firmen erhöhen.

    Aktuell stellt es sich für mich so dar: US-Riesen wie Google, Amazon, Facebook sind längst vom Windows-Hersteller unabhängig. Airbus geht von MS Office weg, und IBM gibt den Mitarbeitern die Wahl zwischen Windows- und Mac-Desktops. Nun im deutschen Umfeld ist ein gewisser Zug der Lemminge nicht zu verkennen. Hier vermisse ich deutlich eine politische Leadership, es wird gewurschtelt, auf Teufel komm raus – in der Hoffnung, strukturelle Probleme durch Wechsel des Herstellers zu lösen. Hoffen wir, dass das bestenfalls gut geht und nicht in einem (auch finanziellen) Desaster endet.

    • Hape sagt:

      Zitat:
      "Es klang an, dass die Nutzer den Wechsel mittragen, damit es irgendwann besser wird."
      Die norddeutschen Finanzbeamten gehen also fälschlicherweise davon aus, dass mit einem Wechsel auf Windows Dinge möglich werden, die zur Zeit nicht gehen?
      Fachanwendungen werden in der Regel plattformunabhängig in Java programmiert. Da aber die meisten Bundesländer Windows verwenden ist die Implementierung hier selbstverständlich besser geprüft. Im Oktober 2017 und im Mai 2018 sind bei der Aktualisierung einer Anwendung erhebliche Probleme aufgetreten, die zu einem teilweisen IT-Ausfall in den niedersächsischen Finanzämtern führten. Würde Linux als offizielles System bundesweit administriert, wäre das nicht passiert! Niedersachsen hat mit OpenSUSE eine Community-Version eingesetzt, deren Support ausgelaufen ist. Für SUSE Linux Enterprise Desktop muss man zahlen. Dadurch dreht sich die Diskussion oft um Kosten – entweder in Form von Lizenzen oder in Form von Schulungen – und die wahren Vorteile von Linux-Lösungen geraten in den Hintergrund: Die Unabhängigkeit vom Vendor Lock-in und die Standardkonformität von Linux! Bei den Servern sei „keine generelle Abkehr von Linux beabsichtigt". Es steht also nicht nur eine Windows-Migration an, sondern es entsteht zugleich eine heterogene Infrastruktur. Mit diesem Argument versucht man auch Befürchtungen zu zerstreuen, Microsoft könnte durch eine künftige Entscheidung des Oberen Gerichtshofs der USA dazu verurteilt werden, die auf den Servern "gespeicherten Daten sämtlicher Steuerpflichtiger an die US-Behörden auszuliefern".
      Jedenfalls werden Abermillonen für die Windows-Migration ausgegeben. Die Preise, die Microsoft Behörden berechnet, sind geheim. Auch Informationen darüber, welche Kosten für Programme und für die künftige Wartung zu veranschlagen sind, seien noch nicht verfügbar. Das liegt auch daran, dass weder Auftraggeber noch Dienstleister Wirtschaftsunternehmen sind. Bei Dataport handelt es sich um eine Anstalt öffentlichen Rechts. Das Risiko liegt wieder einmal allein beim Steuerzahler !
      Ich habe vor einigen Jahren von der SteuerverwaltungsEDV als Admin in ein Privatunternehmen gewechselt und hatte freie Hand bei der Migration auf Linux.
      Bisher haben wir es nicht bereut!

  6. Al CiD sagt:

    Meiner Meinung nach erschwert in Deutschland auch die Tatsache, dass jeder Kreis und jedes Bundesland selbst bestimmen will wie, egal ob Bildung, Gesundheit, Verwaltung, Finanzen, etc.
    Jeder will sich profilieren und zu seinem (auch persönlichen) Vorteil Entscheidungen treffen…
    Wenn ich mir schon die seit Jahrzehnte alten Diskussion der Bildungseinrichtungen der verschiedenen Bundesländer anschaue… wie soll es da auf einen gemeinsamen Nenner in der (relativ jungen) IT-Landschaft kommen?

  7. Frank W. sagt:

    Ist lustig, dass andere Länder wie "Russland", "China" oder "Israel" seit 20 Jahren eigene Linux-Versionen von Grundauf "bulletproof" aufgebaut haben – da wird kein Windows mehr in "kritischen Bereichen" verwendet.

    Das Problem ist, dass viele "Standard-Produkte" für die Polizei nur auf Windows basiert und auch im Finanz/Steuerbereich sind alle Tools Windows-basiert – das Problem in München war auch zum Teil was anderes:

    Der Sohn meines Freundes ist Fachinformatiker in München in der Öffentlichen Verwaltung und er erzählte folgendes:

    * fast 80% der Nutzer hassten Linux, weil die alle so an Windows gewöhnt waren.
    * Es kamen hunderte Beschwerden, weil Word-Dokumente mit SmartGraphics in Linux nicht auftauchten.
    * Dutzende Damen in der Verwaltung meckerten wieso Sie nicht das "Blümchen/Hunde/Katzen"-bild auf den Hintergrund legen konnten oder wieso man nicht MP3s auf dem Linux-Rechner abspielen durfte.
    * Für viele Nutzer war es umständlich in einer VM eine "alte Windows XP" Anwendung zu starten und dann in anderen Linux-Tools parallel zu arbeiten.

    Beim gemeinen Volk und Beamten in der Verwaltung wurde das Gerücht "Linux ist scheisse" wie Fake-News durch Externe Berater und IT-Profis (Windows Nutzer) gepflegt.

    Auch nach Schulungen konnten 60% der Nutzer nicht sauber arbeiten, weil keine Bereitschaft für Wechsel da war.

    Die Polizei und Steuerberhörden kotzen halt ab, weil fast alle Ihren Applikationen (Maßgeschneidert) für Windows waren und teilweise in Linux keine "einfaches" Handling ermöglichte – für Amateure und dämliche Beamte.

    Die Admins hatten also "feindliche Politiker", "feindliche Beamte" und "feindliche Angestellte" die alle mit der Lobby-Arbeit von Microsoft keine Chance hatten Linux zu verkaufen. Microsoft hat wohl knapp 6 Mio Euro in Lobbyarbeit und "Propaganda" in Bayern investiert (in 6-7 Jahren).

    Auch in anderen Bundesländern wurde nach Merkels Sieg die anderen Linux-in-Der-Verwaltung-Projekte storniert.

    Ist alles geplant…..im Land der Wirtschaftshure Deutschland :-)

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