Schock, lass nach – es ist Montag und die Woche fängt schon mit einer deprimierenden Erkenntnis an. Es war nur eine kleine Meldung, die mich aber aufhorchen ließ. Das Computer History Museum (CHM) hat den Quellcode der von Adobe vor 40 Jahren entwickelten Postscript-Technologie erstmals öffentlich bereitgestellt, nachdem man die Erlaubnis von Adobe dazu erhalten hat. Und damit kommt die persönliche Note ins Spiel: Denn mit Postscript habe ich Anfang der 90er Jahre als "junger Autor" meine eigenen Berührungspunkte gehabt.
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Die Anfänge von PostScript
PostScript ist eine Seitenbeschreibungssprache, die in den frühen 1980er Jahren von Adobe entwickelt wurde. Zum Hintergrund: Die Ideen für Postscript entstanden in über 10 Jahren Arbeit von John Warnock. Die Vorstellung dabei war, dass eigentlich jeder Computer über eine gemeinsame Sprache Informationen an Drucker und Setzer schicken können soll, um Wörter und Bilder mit höchster Genauigkeit zu drucken. John Warnock arbeitete zunächst noch bei Evans & Sutherland, dann für Charles Geschke bei Xerox im PARC (Palo Alto Research Center) an dieser Idee.
Als Warnock keine Perspektiven für eine kommerzielle Nutzung der PostScript-Technologie durch Xerox sah, gründete er zusammen mit Charles Geschke 1982 Adobe Systems Inc. Gemeinsam mit einem Programmierteam entwickelte man dann bei Adobe die Sprache Postscript mit einem entsprechenden Interpreter. Die erste PostScript-Implementierung erschien 1984 als Produkt und galt seinerzeit als revolutionär.
Später wurde die Technologie nach für das Portable Document Format (PDF) als Vorlage genommen. Mit PDF sollte der Dokumentaustausch zwischen Geräten vereinheitlicht werden. PostScript verwendet eine Seitenbeschreibungssprache, die auf der Nutzung von Vektorgrafiken basiert. In PostScript gibt es eine rein mathematische Beschreibung der Formen, etwa mit Hilfe von Bézier-Kurven oder auch die Einführung des sogenannten Font-Hinting.
Mein Ausflug in PostScript
Heute unterstützen viele Drucker PostScript und können entsprechende Dateien verarbeiten. Ich selbst kam Anfang der 90er Jahre mit PostScript in Berührung, als mit GhostScript ein entsprechender Interpreter für Windows verfügbar war, so dass ich mit der Seitenbeschreibungssprache experimentieren konnte. In meiner Sturm- und Drangzeit als IT-Autor entstanden dann Werke zu PostScript bei Systhema (1991) und Addison Wesley (1996). Zudem gab es einen PostScript-Kurs in der ComputerBild und die englischsprachige Ausgabe dieser Kurse wurde vom damals legendären Dr. Dobbs Journal of Software-Tools unter dem Titel Hands on PostScript-Programming als DVD vertrieben. Das Zeugs wurde dann von Setzern benutzt, um von Desktop Publishing-Programmen erzeugte PostScript-Druck- und Belichterdateien bei Problemen verstehen und ggf. korrigieren zu können.
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Quellcode nun im Museum
In den vergangenen Jahren wurde PostScript und vor allem der Quellcode von Adobe als Geschäftsgeheimnis gehütet. Viele Hersteller lizenzierten PostScript von Adobe, was der Firma einen kometenhaften Aufstieg bescherte. Ohne PostScript wäre der Erfolg des Desktop Publishing (DTP) nicht möglich gewesen. Nun darf das Computer History Museum (CHM) den Quellcode der ersten PostScript-Implementierung von 1984 ausstellen, wie ich bei Golem lese. Allerdings ist dieser Quellcode kein Open Source geworden. Das Museum hat dafür von Adobe das entsprechende Recht zur Ausstellung erhalten.
Chuck Geschke über die Anfänge von PostScript (Quelle: YouTube)
In dieser CHM-Meldung (englisch) finden sich viele Informationen zur Entwicklung von Postscript samt Video-Rückblicken von Warnock und Geschke. Als ich das überflog, kamen gleich zwei Emotionen hoch: Einmal die Erinnerung an die späten 80er und frühen 90er Jahre, als ich viele dieser Technologien hautnah mit verfolgen durfte (ich erinnere mich, neben dem PostScript-Zeugs noch Büchlein und CDs mit dem lizenzierten Netscape Navigator 2.0 unters Volk gebracht zu haben).
Diese Erinnerung war natürlich wow – wir wollten damals die Sterne vom Himmel holen (an meine Episoden mit Digital Equipment Minirechnern, so zwischen 1979 bis 1981, erinnere ich mich heute auch kaum noch, und auch die Zeit, wo ich Betriebssystem-Software auf Assembler- und Maschinencode-Ebene für 80×85 Microprozessor-Systeme geschrieben habe, verschwimmt im Dunkel der Geschichte).
Die zweite Emotion war dann aber etwas mehr in Richtung Erschrecken, denn die Technologie, die mich während der Anfänge meines Autorenlebens begleitete, steht jetzt im Museum (wie die Digital Equipment PDP- und VAX-Rechner). Und die in den Videos gezeigten Protagonisten erschienen mich auch nicht mehr ganz jung (die hatte ich deutlich anders in Erinnerung). Heißt mit anderen Worten, dass ich so langsam auch zum "ganz alten Eisen" zähle, und bald auf dem Friedhof – oder ausgestopft als TI-Saurier in Form eines warnendes Beispiels (Kinder lernt was Anständiges wie Hufschmied oder Ofenbauer) in irgend einem Computermuseum lande …
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Zum letzten Absatz:
Solange das "ganz alte Eisen" noch nicht zu viel Rost angesetzt hat ist das Leben noch zu retten.
Das knackige Alter (es knackt hier und knackt da) geht an niemanden vorbei.
Keiner kommt hier lebend raus, aber manchmal bleibt die Erinnerung.
Wer Zugriff auf die Doku zu Industrial light (Star Wars)hat bekommt da auch ein paar Infos zum Thema.
Donnerwetter, im ersten Augenblick dachte ich "hat Lukas dich und deine Postscript-Gehversuche als Easteregg in Star Wars versteckt". Aber dann dämmerte mir "Du deutest etwas ganz anderes an" – nämlich dass die von George Lucas mit gegründete Firma Industrial Light & Magic die optischen Effekte mit Encapsulated PostScript (EPS) realisiert hat – oder liege ich daneben? Das Zeugs aus der Filmindustrie ist damals komplett an mir vorbei gegangen, ich bin ein Mann des gedruckten Worts und in Typografie verhaftet ;-). Aber danke für den Hinweis – sehr interessant.
PS: Gerade noch ein Angebot im Blog bekommen, mich den "Illuminaten, Berühmten und Mächtigen" anzuschließen – ging runter wie Öl, wer bekommt schon so ein Angebot. Top Konditionen: 1000000000 $ auf mein Bankkontom 100.000 $ Wochengehalt, ein Auto im Wert von 900.000 $, Prämienvertrag im Wert von 250.000.000 $, ein Haus in einem beliebigen Land meiner Wahl. Und ein kostenloses Visum für mein Traumland …. Halt, da war doch ein Haken – ich müsste nur eine WhatsApp-Nachricht schicken. Dabei habe ich doch kein WhatsApp – musste dann das Angebot leider in den SPAM-Ordner des Blogs schieben.
Zum letzten Absatz:
IT-ler werden wohl eher als Silizium recycled und fristen ihr zweites Dasein in irgend welchen Wafern und daraus hergestellten Chips statt im Alteisen zu landen und später dann unter irgend welchen Nutztieren in Hufeisenform durch die Lande zu galoppieren.
Allerdings: Ofenbauer und Hufschmied wären in der heutigen Zeit eher ganz schlechte Berufswahlen, so wegen der Diskussion um CO2 und so. Aber das Fass sollte man hier im Forum besser nicht aufmachen. Hingegen: ohne IT-ler, die "die ganze K**ke" am Laufen halten und pflegen und auch weiterentwickeln, wäre das aktuelle moderne Leben völlig undenkbar. Dass nicht jede Entwicklung der IT sinnvoll ist, sei mal dahingestellt.
Hallo Günter,
danke für deinen Artikel über PostScript und zur Historie von PostScript in den 80er Jahren. Da kommen bei mir sofort die Erinnerungen zu meiner Diplomarbeit von 1986 hoch, die sich mit PostScript beschäftigt hat. Damals war PostScript noch ein kleines Pflänzchen am IT-Himmel.