Seit Microsofts Surface-Tablet PCs wegen mangelnder Zuverlässigkeit von einer Empfehlungsliste einer Verbraucherschutzorganisation gestrichen wurden, kommt das Thema nicht zur Ruhe. Heute ein kurzer Überblick zur Sachlage.
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Worum geht es?
Das unabhängige US-Produkt-Review-Journal Consumer Reports gibt Empfehlungen für den Kauf von Konsumergeräten. Nun hat Consumer Reports die Empfehlung für alle Microsoft Surfaces zurückgezogen.
(Surface Pro, Quelle: Microsoft)
Begründet wurde dies mit einer mangelnden Zuverlässigkeit der Geräte. Bei einer Befragung von 90.000 Gerätebesitzern diverser Hersteller kam wohl heraus, dass die Surfaces bei 25% der Besitzer innerhalb von 2 Jahren Probleme verursacht hatten. Wie viele Surfaces einbezogen waren, geht aus den Informationen nicht hervor. Dieser Vorgang hat dann zu einem entsprechenden Medienecho geführt. Ich hatte im Blog-Beitrag Unzuverlässige Surfaces von Empfehlungsliste gestrichen darüber berichtet.
Natürlich lässt sich aus den obigen Daten nicht schließen, dass jedes vierte Surface Probleme bereitet.
Microsofts nichtssagende Stellungnahme
Microsofts Corporate Vice President, Microsoft Devices, Panos Panay, hat dann einen eigenen Blog-Post zum Thema veröffentlicht. Seine Botschaft: Microsoft steht hinter den Surfaces und 98 % der Leute sind zufrieden mit den Geräten.
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Verheerendes Echo in den Medien
Der Blog-Beitrag von Panos Panay hat dazu geführt, das sich einige Blogs und Medien am Thema abgearbeitet haben. Bei MS Power User gibt es den Blog-Beitrag Microsoft vs Consumer Reports: A closer look at Microsoft's Surface defence, der den Beitrag Microsofts extrem kritisch auseinander nimmt und als Nullnummer entlarvt. Hatte ich so aus dieser Ecke nicht erwartet.
Ein paar Inside-Views von Paul Thurrott
Dann wurden Paul Thurrott, der ganz gut vernetzt ist, einige Informationen zugespielt, die er im Artikel Here's What Microsoft is Saying Internally About Surface Quality and Reliability aufbereitet hat. Martin Geuß hat hier einen deutschsprachigen Artikel publiziert. Ein internes Memo informiert Microsofts Mitarbeiter über die Rücklaufrate von Surfaces innerhalb der ersten 90 Tage.
(Rücklaufrate Surfaces, Quelle: Thurrott.com)
Einige Modelle kommen nach dem Release auf Rücklaufquoten von 16% (Surface Book), sprich: Die Käufer stellen massive Probleme fest. Microsoft gelingt es dann, diese Quote binnen Monaten doch etwas nach unten zu drücken, so dass die aktuell wohl zwischen 2 % und 5 %, je nach Gerät, liegt.
Microsoft legt also eine steile Lernkurve mit den einzelnen Geräten hin. Problem ist aber, dass die Empfehlung von Consumer Reports sich auf einen Zeitraum von 2 Jahren bezieht und das Surface Pro (2017) wohl nicht mehr berücksichtigt. Und es gibt noch etwas, was so nicht auftaucht – ein hausgemachtes Problem.
Die Mär von den schlechten Intel-Treibern
Thurrott schreibt in seinem Artikel, dass es im internen Microsoft-Memo eine Erwähnung von 'einigen Qualitätsproblemen beim Markteintritt des Surface Book und Surface Pro 4' gegeben habe. Er verweist auf seinen Artikel zum Surfacegate (Januar 2016), wo er auf Probleme bei Surfaces hinweist. Microsoft schwieg zu allem im Detail.
Mein bisheriges Wissen war, dass Microsoft auf die Treiber von Intel in Bezug auf die neuesten Prozessorgenerationen (Skylake) schimpfte. Paut Thurrot schreibt, dass mehrere langjährige Microsoft-Offizielle ihm mitgeteilt hätten: Intel habe die verbuggtesten Treiber aller Zeiten für die betreffenden Prozessoren geliefert. Und die seien für die Anlaufschwierigkeiten mit den Surfaces verantwortlich gewesen.
Mir ist nur aufgefallen, dass genervte MVP-KollegInnen in den US Microsoft Answers Foren Leuten mit Problemen den Rat gaben, die Surfaces kommentarlos an Microsoft zurückzusenden. Das galt selbst, wenn es erkennbar Softwareprobleme waren. Begründung: Microsoft bastelt da rum und es ist unklar, ob und wann die das je gefixt kriegen. Im dümmsten Fall fällt der Kunde aus der Garantie und steht im Regen.
Nun räumt Thurrott mit der Legende der schlechten Intel Treiber für Skylake-CPUs auf. Ihm wurde von anderen Microsoft-Insidern gesteckt, dass Microsoft die Legende von den schlechten Intel-Treibern wohl konstruiert hat, um von hausgemachten Problemen abzulenken.
Das Ganze wurde wohl ruchbar, als Microsofts Chef Satya Nadella sich letztes Jahr mit Lenovo-Offiziellen traf. Dort fragte Nadella, wie Lenovo eigentlich das Problem mit den Skylake-Zuverlässigkeitsproblemen handhabe. Die waren ja auch von Intel-Treibern für den Chipsatz und ggf. die Intel Grafik abhängig. Die Lenovo-Leute reagierten dann doch etwas konsterniert auf Nadellas Frage. Deren Entwickler hatten schlicht keine Probleme mit den Skylake-Chipsätzen, was Nadella auch mitgeteilt wurde.
Das dürfte dann zu Hause in Redmond zu etwas deutlicheren Nachfragen von Nadella beim Microsoft Senior Leadership Team geführt haben. Denn die Jungs haben Nadella ins offene Messer laufen lassen – hatten sie ihm doch die Mär von den schlechten Intel-Treibern aufgebunden. Die Ursache für die Zuverlässigkeitsprobleme bei den Surfaces, man ahnt es irgendwie, waren die Surface-spezifischen Custom-Treiber und Einstellungen, die das Microsoft-Hardware-Team da zusammen gestrickt hatte.
Thurrott schreibt, dass Microsoft gezwungen war, schnell neue Surface-Designs, die irgendwie existierten, auf den Markt zu werfen. Man musste aus dem 'Zuverlässigkeitsloch' heraus. Das führte dann wohl, so Thurrott, zum Surface Laptop, welches er als wenig inspirierendes Produkt bezeichnet, dessen Ursprünge Jahre alt seien und an dem schon Julie Larson-Green mitgearbeitet habe. Auch das neue Surface Pro (2017) ist nur ein kleines Update des alten Surface Pro. Neue Produkte, wie das neue Surface Hub (Aruba) oder Mobilgeräte (Andromeda) wurden auf einen Marktstart im Jahr 2019 verschoben.
Ergänzungen: In einem Podcast hat Thurrott die Aussage, dass Microsoft alleine Schuld habe, wohl abgeschwächt und nimmt Intel mit in die Pflicht. Es gibt wohl eine schwächelnde und fehlerbehaftete Unterstützung für Connected Standby bei Skylake-CPUs. Während andere Hersteller dieses Manko durch eigene Software ausbügelten, vertraute Microsoft (wohl etwas naiv), dass Intel da nachbessern würde. Details lassen sich in dem englischsprachigen Blog-Beitrag hier nachlesen.
Thurrott schreibt, dass Panos die Aussagen von Consumers Report, dass Ausfälle bei 24 % der Geräte binnen 2 Jahren aufträten, einfach zu breit gefasst habe. Panos führe aus, dass ein eingefrorener Bildschirm oder eine nicht mehr reagierende Toucheingabe keine Ausfälle seien, sondern 'kleinere Vorfälle', die der Nutzer leicht korrigieren könne – das berühmte 'have you tried to switch it off and on again'.
Thurrott geht in seinem Beitrag noch ein wenig auf Zahlen ein, die Panos im internen Memo zitiert. So sei der Surface NPS [Net Promoter Score] konsistent höher als der von anderen Herstellern. Dumm nur, so Thurrott, das der NPS nichts über Zuverlässigkeit aussagt, sondern die Kundenzufriedenheit bewertet (a la 'würdest Du dein Gerät anderen empfehlen').
Einfaches Fazit
Es scheint, als ob Microsoft sich bei dem ganzen Thema etwas verhoben hat. Thurrott stellt fest, dass Microsoft mit den Surfaces Probleme hatte und der Hersteller glaubt, die Kuh vom Eis zu haben. Mein abschließender Gedanke: Was stört, ist das Schweigen von Microsoft, wenn es Probleme gibt. Nur wenn nichts mehr zu leugnen ist, kommt die 'eine geringe Anzahl an Kunden haben dieses Problem'-Antwort von Microsoft.
Und oft hatte ich als außenstehender Beobachter den Eindruck, dass das Produkt beim Kunden reift. Da wurden Firmware-Updates rausgehauen, die dann mehrfach korrigiert werden mussten. Es ist vermutlich nicht einfach, so etwas stabil zu bekommen. Aber bei den Preisen, die Microsoft verlangt, wird sich so mancher Kunde leicht veralbert fühlen. Apple hat zwar mitunter auch Probleme mit seinen Geräten. Dort schiebt man aber schnell Updates nach, die das oft korrigieren.
Einerseits ist Microsoft ja der Erfolg zu gönnen. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass ein Erfolg bei den Surfaces für Microsoft zum Desaster werden kann, denn bei mehr Geräten in Nutzerhand nehmen die kritischen Stimmen bei Problemen stark zu – so dass der Ruf eines Unternehmens schnell ruiniert sein kann. Oder wie seht ihr das so?
Ach ja, einen habe ich noch. WalkingCat hat am Wochenende getwittert (klingt nicht nach sehr zufrieden):
I have 2 broken chargers and 2 broken Type Covers for my Surface Pro 2 now, in <4 years https://t.co/tSmInCAEnL
— WalkingCat (@h0x0d) 11. August 2017
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Der Artikel ist echt gut geschrieben und fasst alles super zusammen, was man in letzter Zeit so zu lesen bekam. Danke!
Ich hatte ein Surface 3 Pro Problem, als ich das Surface mit zu viel Wucht in die Docking-Station geklemmt habe, eine Spinnen-APP, keine Touch-Funktion. Eingesandt, neues bekommen. nach der Garantie-Zeit. Ohne Kosten.