Windows 10-Zwangs-Upgrade: Microsoft zahlt Entschädigung

Microsoft hat wohl einem weiteren Anwender eine kleine Entschädigung gezahlt, weil sein System durch das Windows 10 "Zwangs-Upgrade" unbrauchbar wurde. Hier ein paar Informationen.


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Über das Thema Zwangs-Upgrade, wo Microsoft vom Juli 2015 bis Juli 2016 Anwender mit Windows 7 SP1- und Windows 8.1-Systemen durch Anwendung allerlei Tricks zum Umstieg auf Windows 10 brachte (ich bevorzuge Zwangs-Upgrade als Begriff), habe ich häufiger im Blog berichtet (siehe Link-Liste am Artikelende). Es sind eine Menge diesbezüglicher Klagen gegen Microsoft anhängig. Bisher gab es aber nur eine Entscheidung, die ich im Artikel Erster Schadenersatz wegen Windows 10 Zwangs-Upgrade thematisiert habe.

Ein exemplarischer Fall für überforderte Nutzer

Hinter den Kulissen scheint Microsoft sich aber mit Anwendern auf kleinere Zahlungen als Schadensersatz für den Aufwand zum Reparieren der Systeme geeinigt haben. Ein Fall ist mir jetzt unter die Augen gekommen. Der US-Bürger Jesse Worley hat diesen Fall jetzt in seinem Blog dokumentiert.

Sein Großvater leidet an Alzheimer, kann oder konnte aber wohl noch einen Computer mit Windows XP bedienen, um diverse Spiele (Solitär, Pinball etc.) zu nutzen. Der Rechner wurde daher auch zu Therapiezwecken verwendet, um die kognitiven Fähigkeiten zu trainieren. Mit dem Auslaufen von Windows XP rüstete Worley zwei Maschinen auf Windows 7 Professional um. Durch Verwendung eines Classic-Theme konnte die Windows XP-Oberfläche nachempfunden werden. War auch alles super, solange Windows 10 nicht draußen war. Dann ging der Ärger los.

Offenbar hat Worley die Gruppenrichtlinien zum Aktualisieren von Windows 7 auf Windows 10 zu Beginn nicht eingerichtet (ging vielen Nutzern so) und lebte wohl auch nicht in der unmittelbaren Nähe seiner Großeltern.

Get Windows 10-Anzeige (Quelle: neowin.net)

Jedenfalls kam es, wie bei so vielen Windows 7-/8.1-Nutzern: Irgendwann kam die Get Windows 10-Anzeige auf dem im Büro des Großvaters stehenden System. Er war zwar instruiert worden, das Upgrade auf Windows 10 abzulehnen, was wohl bis zum Mai 2016 über viele Monate geklappt haben muss. Irgendwann kam dann die obige Get Windows 10-Anzeige, die keinen Ausweg aus der Upgrade-Schleife mehr zuließ. Nachdem der Großvater auf die Schließen-Schaltfläche geklickt hat, wurden die Systeme zwangsweise auf Windows 10 aktualisiert.  

Man findet im Web zwar Artikel, wo Leute nachweisen, dass die Anwender vorher der Installation zugestimmt haben müssen. Der Fall hier zeigt aber exemplarisch, welche Sauerei sich Microsoft erlaubte und, dass Nutzer mit solchen Entscheidungen einfach überfordert waren bzw. sind. Ich habe das Ganze ja ausgiebig in den am Artikelende verlinkten Blog-Beiträgen behandelt.

Der Großvater war, wie Worley schreibt, über Wochen in ziemlicher Aufruhr. Irgendwann fand Worleys Mutter, die wohl in der Nähe der Großeltern lebt, den Grund für die Aufregung heraus. Aufgefallen war wohl, dass der ältere Herr wohl nicht mehr in sein Büro ging. Denn dort war der Rechner auf Windows 10 aktualisiert worden – und Spiele wie Minesweeper oder Solitaire waren plötzlich kostenpflichtig (hier ist aber die Schilderung etwas krude, da die Windows 7-Spiele in Windows 10 entfernt wurden und diese nun als Apps im Windows Store heruntergeladen werden konnten). Jedenfalls war dies der Grund für die Aufregung des unter Alzheimer leidenden älteren Herren. Sein gewohnter Tagesablauf war durcheinander gekommen – er konnte nicht mehr am Computer "arbeiten".

Diese Situation kenne ich aus der Familie, wo ebenfalls zwei Computer, noch mit Windows 98, ohne Internet, herumstehen – wobei einer als Reservesystem dient. Wenn am Rechner was verstellt ist, ist "die Hütte am brennen". Da musste auch schon mal ein Reservesystem durch die Nachbarschaft aktiviert werden – und bei meinen Besuchen darf ich dann die Systeme wieder richten. Die Situation in der Familie von Worley kann ich daher gut nachvollziehen.

Lange Geschichte verkürzt: Mit (telefonischem) Support durch Worley konnte seine Mutter das Reserve-System mit Windows 7 Professional in Betrieb nehmen und dort Never10 zum Blocken den Windows 10-Upgrades installieren und einrichten. Später schickte sie das auf Windows 10 aktualisierte System per Post an Worley, der dieses per Rollback auf Windows 7 zurückstellen wollte. Schlug fehl und am nächsten Tag war die Rollback-Option nicht mehr verfügbar. Also musste er das System neu mit Windows 7 Professional versehen und auf die Arbeitsumgebung für den Großvater einstellen. War wohl mit einigen "Schlenkern" verbunden.


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Das dürfte kein Einzelfall gewesen sein, denn viele Windows 7/8.1-Systeme, die von Menschen mit Behinderungen verwendet wurden, sind per Zwangs-Upgrade auf Windows 10 aktualisiert worden. Die Betroffenen blieben hilflos zurück.

Da zeigt sich wieder einmal die Janus-Köpfigkeit von Microsoft als Unternehmen. Ein Jahr lang war es Microsoft scheiß egal, was mit den Systemen dieser Menschen passierte. Andererseits hat man letzten Freitag, im Vorfeld des gestrigen Tags für Menschen mit Behinderungen (3. Dezember), laut die Pläne für Verbesserungen im Bereich Erleichterte Bedienung unter Windows 10 hinausposaunt (siehe mein Blog-Beitrag Windows 10 Creators Update: Accessibility-Features).

Geräuschlose Einigung mit Anwendern

Normalerweise wäre jetzt eine Klage gegen Microsoft fällig geworden. Worley kannte den Fall der Nutzerin, die 10.000 $ Entschädigung zugesprochen bekam, und hatte eine Klage gegen Microsoft in Texas vor. Er kannte aber auch die Klausel in der Windows 10-EULA, nach der die Nutzer Microsoft bei Beschwerden anmailen sollten. In einer "Notice of Dispute" konnte man den Fall schildern und Microsoft 60 Tage Zeit geben, das Problem beizulegen, bevor eine Klage erhoben werde.

Zitat aus Microsofts EULA: "we hope you'll mail a Notice of Dispute and give us 60 days to try to work it out, but you don't have to before going to small claims court."

Sein primäres Ziel war nicht das Kassieren einer Entschädigung. Er wollte vor allem ein Eingeständnis, dass Microsoft mit der Get Windows 10-Anzeige übers Ziel hinausgeschossen sei und die Anwender ausgetrickst hat. Das Popup-Fenster sei missverständlich gewesen und Betroffene könnten sich an Microsoft wenden, um ggf. Kompensation zu erhalten. Worley füllte also das Formular aus und schickte es im Juli 2016 an Microsoft.

Es gab eine Rückmeldung eines Support-Mitarbeiters mit einer Entschuldigung, dass man "Probleme mit Windows 10 habe" (das kenne ich irgendwo her). Der Support versuchte Worley Hilfe beim Upgrade zu geben, was aber nicht das Thema war. Es kam auch der Hinweis, dass die Leute wohl nicht wüssten, was "Accept" oder "Deny" im Dialogfeld sei.

Nach einiger Diskussion lief wohl die klassische Support-Strategie bei Microsoft los – der Fall wurde "eskaliert". Und nach einiger Zeit kam wohl das Angebot, eine Entschädigung in Form von 150 $ Coupons im Microsoft Online-Store und einer zusätzlichen 500 $ (Prepaid) Visa-Karte. Worley lehnte das ab, und fragte nach einem Scheck in Höhe der angebotenen Entschädigung. Dies wurde akzeptiert und der Scheck kam wohl 43 Tage nach der Meldung (Worley hatte eine 60 Tage-Frist gesetzt).

Worley spendete den Scheck an eine Organisation zur Alzheimer-Forschung und versuchte dann die Medien über den Fall bzw. seinen Erfolg zu informieren. Lediglich The Register zeigte Interesse. Er hat den Fall dann hier dokumentiert und ich bin bei digitaltrends.com auf diesen Artikel gestoßen. Schlussfolgerung: Das Interesse der Medien am Thema Windows 10-Zwangs-Upgrade ist wohl zwischenzeitlich erloschen. Ob es Gerichtsentscheidungen oder Vergleiche zwischen Klägern und Microsoft gab, bekommt man nur durch Zufall mit. Möglicherweise wurden auch weitere Fälle "stillschweigend" von Microsoft auf die obige Weise erledigt.

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